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Den 35 m hohen Schönbuchturm erklimmt man über eine Doppelhelix-Treppe – auf der einen Treppe gehts nach oben, auf der anderen nach unten. Der Turm bietet auf jeder Stufe einen Rundum-Ausblick. Drei runde Plattformen auf 10 m, 20 m und 30 m Höhe mit Durchmessern von 2 x 9 m bzw. 12 m laden zum Verweilen ein. (Bildquelle: Conné van d'Grachten)
Die Koppelungsknoten liegen elegant in Ebene der Plattformen und treten optisch kaum in Erscheinung. (Bildquelle: Conné van d'Grachten)
Eine der Herausforderungen beim Montieren lag im exakten Fügen des Ober- und Unterteils, bzw. im „Einfädeln“ aller acht Stahldorne und deren Gegenstücke in einem Zug. (Bildquelle: schlaich bergermann partner)
Ein aufs Wesentliche reduziertes Tragwerk

Mit Spannung nach oben

Der neue Aussichtsturm im Naturpark Schönbuch in der Nähe von Herrenberg bei Stuttgart ist ein aufs Wesentliche reduziertes Tragwerk. Sein Grundkonzept lehnt sich an dem des Turms auf dem Killesberg in Stuttgart an: Es besteht aus einer Stahlstütze, an der Plattformen aufgehängt sind. Damit diese Stütze nicht umfällt, ist sie nach außen mit Seilen abgespannt, ebenso die Plattformen. Das heißt, die Plattformen sind zwischen dem mittleren Mast und den Stahlseilen angeordnet. Beim Schönbuchturm ist die Mittelstütze des Vorbilds in acht Stützen aufgefächert. Diese sind oben über einen Zugring kurzgeschlossen – ansonsten handelt es sich um das gleiche System.

Isometrie ohne Stahlplattformen, aber mit Seilabspannungen. Mit der speziellen Form des Fundaments konnten hohe Bodenpressungen durch die Seilvorspannung (5 MN) vermieden werden. (Bildquelle: schlaich bergermann partner)
Ein "Bündel" aus acht Brettschichtholz-Stützen fächert sich nach oben auf und bildet zusammen mit den Stahlabspannungen das minimalistische Tragwerk. (Foto: Von Muck-Eigenes Werk-Wikimedia Commons)

Bauherrenwunsch: Ein transparentes Tragwerk

Das minimalistische Tragwerk des 35 m hohen Schönbuchturms mit seinen zwei spiralförmigen Treppen besteht aus acht im Kreis angeordneten, nach außen geneigten Lärchen-Brettschichtholz-Masten (b x h: 45 cm x 50 cm), die in Ebene der drei stählernen Aussichtsplattformen gekoppelt und mit Stahlzugseilen zum Fundament hinunter gespannt sind. Zug- und Druckkräfte konnten so optimal im Fundament verteilt werden, dessen spezielle Gestaltung dem bedingt stabilen Untergrund geschuldet ist. Denn der Turm gründet auf dem Stellberg, einer ehemaligen Erd- und Mülldeponie.
Um die Altlasten im Boden nicht durchdringen zu müssen, entschieden sich die Planer für eine Flachgründung. Sie setzt sich zusammen aus einem Sockelfundament, auf dem die Holzmaste stehen, sowie einem Stahlbetonring, der das Sockelfundament umschließt. Letzterer bietet die Verankerungsstellen für die Stahlseile. Sockel- und Ringfundament sind über massive Stahlbetonbalken, die wie ein Kreuz angeordnet sind, miteinander gekoppelt.

Dadurch werden die Zugkräfte aus Stahlseilen und Brettschichtholz-Stützen im Fundament kurzgeschlossen, und die Druckkräfte aus den Stützen wirken nicht direkt auf den Baugrund, sondern werden zum äußeren Ringfundament zurückgehängt. So bleiben die Kräfte aus der Vorspannung sozusagen im System. Diese Konstruktion ermöglichte außerdem ein transparentes und leichtes Tragwerk. Dem Bauherrn war es besonders wichtig, dass man bei der Turmbesteigung jederzeit Ausblick hat und den Blick schweifen lassen kann. Ziel war daher, eine offene Struktur zu schaffen, wofür sich die Seile ideal anboten, nicht zuletzt auch, weil sie sehr hohe Kräfte aufnehmen können.

Die Koppelungsknoten liegen elegant in Ebene der Plattformen und treten optisch kaum in Erscheinung. (Bildquelle: Conné van d'Grachten)
Die knapp 10 m langen Brettschichtholz-Stützen werden mit vormontierten Kopf- und Fußplatten auf die Baustelle geliefert. Gut zu sehen: Die Stahldorne und Gegenstücke für die gelenkigen Anschlüsse. (Bildquelle: Kurt Schwaner)
Die einzelnen Stützen erscheinen dem Betrachter als durchgehend. (Bildquelle: Conné van d'Grachten)
In der Explosionszeichnung ist der Aufbau der Koppelungsknoten zu erkennen (Bildquelle: schlaich bergermann partner)
Für die oberen Stützen wurden Stahlprofile eingesetzt. Stahlseile spannen sie an den Stützenköpfen zusammen. Das geschlossene System darf nicht gestört werden. Ein Stützenaustausch wie in den Ebenen darunter ist keine Option, daher fiel die Wahl auf Stahl. (Bildquelle: Conné van d'Grachten)
Einheben des Doppelsegments auf die Basisstützen (Bildquelle: schlaich bergermann partner)

Schutz der Konstruktion durch ausgefeilte Details

Auf den Turm führen zwei getrennte Stahltreppen – eine zum Aufsteigen, eine zum Absteigen –, die in Form einer Doppelhelix angeordnet sind. Dabei vergrößert sich der Radius der Helix nach oben, entsprechend den sich aufspreizenden Brettschichtholz-Stützen. Sie sind auf Höhe der Plattformen, also auf 10 m, 20 m und 30 m unterbrochen und in Ebene der Plattformen über spezielle Knotenanschlüsse gekoppelt, deren Mechanismus es bei Bedarf auch erlaubt, einzelne Maste zwischen den Plattformen auszutauschen. Die Wahl von Lärche als Holzart wie auch die konstruktiven Details sollen zur Langlebigkeit des Aussichtsturms beitragen, ebenso das ausgeklügelte Knotensystem zum einfachen Austausch von eventuell über die Jahrzehnte marode gewordener Einzelbauteile. Das Augenmerk der Planer lag bei der Detailplanung darauf, das Hirnholz vor Feuchtigkeitszutritt zu schützen und Details so zu gestalten, dass Wasser dort, wo es hinkommt, auch zügig wieder ablaufen oder Feuchtigkeit durch Luftumspülung schnell wieder austrocknen kann. Dies berücksichtigten die  Ingenieure, indem sie keine horizontalen, sondern nur geneigte Flächen ausbildeten.

Bei den Stoßpunkten Mast/Ringträger setzte man vor allem auf die Ausbildung von Tropfkanten. Dabei ist die Holzstütze, die von oben anschließt, wie eine Ummantelung rund um die Stahlplatte hinuntergeführt, der innere vertikale Rand abgeschrägt und das Ganze mit Abstand zur Anschlussplatte darunter montiert. Analog dazu erhielt die Stahlplatte für die von unten anschließende Holzstütze Tropfbleche und fungiert wie ein Deckel. In beiden Fällen kann ablaufendes Wasser nicht in die Fugen zwischen Stahlplatte und Holz eindringen, sondern tropft an den Kanten ab. Auch die Mastköpfe wurden mit entsprechenden Tropfkanten ausgeführt.

Eine der Herausforderungen beim Montieren lag im exakten Fügen des Ober- und Unterteils, bzw. im „Einfädeln“ aller acht Stahldorne und deren Gegenstücke in einem Zug. (Bildquelle: schlaich bergermann partner)

Schönheit entsteht durch Reduzierung auf das Wesentliche

Bereits vor Baubeginn zeigte sich durch das hohe Engagement aller am Bau Beteiligten sowie die Finanzierung über Spenden und öffentlichen Gelder die große Akzeptanz und positive Einstellung in der Bevölkerung gegenüber dem Projekt. Das Turmtragwerk ist zudem so auf das Wesentliche reduziert, dass nichts davon hätte weggelassen werden können, woraus sich auch seine schlichte Schönheit ergibt. Es fügt sich ideal in die Natur ein, sowohl von der Materialwahl als auch von der Transparenz. Das scheinen auch die Besucher wahrzunehmen. Seit Eröffnung des Turms herrscht dort fast immer Hochbetrieb.

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe

Projektdaten im Überblick

Bauvorhaben: Aussichtsturm auf dem Stellberg im Naturpark Schönbuch bei Herrenberg

Bauherr: Förderverein Aussichtsturm im Naturpark Schönbuch e.V., 71034 Böblingen, www.schoenbuchturm.de

Baukosten: 1,46 Mio. Euro

 

Generalunternehmen, Stahlbau und Montage: Stahlbau Urfer GmbH, 71686 Remseck, www.urfer.de

Entwurf und Tragwerksplaner: schlaich bergermann partner sbp GmbH, 70197 Stuttgart, www.sbp.de

Herstellung der Brettschichtholz-Stützen: Schaffitzel Holzindustrie GmbH + Co. KG, 74523 Schwäbisch Hall, www.schaffitzel.de