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Das Haupttragwerk der neuen Indoor-Wasserwelt Rulantica bilden strahlenförmig angeordnete Fachwerkkästen. Sie überspannen 85,50 m mit nur einem Zwischenauflager. (Foto: Holzbau Amann – Martin Granacher – www.simplex.de)
Visualisierung der Anlage, deren Markenzeichen die muschelförmige Halle der Wasserwelt ist. (Bild: Europa-Park)
Die Fassadentürme gliedern die verglaste Hauptfassade in fünf je 33 m breite Bereiche. Als äußeres Auflager der Fachwerkkästen sind sie wesentlicher Bestandteil des Tragwerks. (Foto: Europa-Park)
Wasserpark Rulantica setzt auf Dachtragwerk aus Holz

Muschel im Riesenformat

Die Ende 2019 eröffnete Wasser-Erlebniswelt Rulantica vor den Toren des Europa-Park in Rust präsentiert sich in Muschelform. Überspannt wird die Indoor-Wasserwelt von einem enormen Dachtragwerk aus fächerförmig angeordneten Doppel-Fachwerkträgern. Was einfach aussieht, hatte es in jeder Hinsicht in sich und erforderte optimales Know-how und Zusammenspiel aller Ingenieursdisziplinen.

Mit der Indoor-Wasserwelt erfolgte eine der umfangreichsten Einzelinvestitionen eines Privatunternehmens in der Region sowie in der fast 240-jährigen Firmengeschichte der Familie Mack. Der Wasserpark thematisiert eine nordische Erlebniswelt, wie es sie in Europa bisher noch nicht gibt. Hier wird eine eigene sagenumwobene Geschichte erzählt, die MackMedia seit vielen Jahren entwickelt hat und die ihr als Basis für die Ausgestaltung der Wasserwelt diente.

Übersicht Dachkonstruktion: Fünf Fachwerkästen bzw. Raumfachwerke bilden das Haupttragwerk der Dachfläche. (Zeichnung: @sblumer)
Auflagerpunkte Haupttragwerk: Darstellung der Stahlbetonkonstruktion, die den Fachwerkästen als Auflagerpunkte dient. (Zeichnung: Holzbau Amann)

Das bauliche Herzstück der Anlage bildet eine muschelförmige Halle mit 20 m Höhe. Das Haupttragwerk des Hallendaches besteht aus knapp 86 m langen Doppel-Fachwerkbindern aus Brettschicht(BS)-Holz, die fächerförmig von einem zentralen Punkt über eine Zwischenabstützung zu den Auflagertürmen spannen. Dazwischen eingefügte Brettsperrholz(BSP)-Elemente schließen die Zwickel und bilden das 12.200 m² große Dachtragwerk. Dabei galt es nicht nur, das enorme Eigengewicht der 85 Tonnen schweren Fachwerkkästen abzutragen, sondern auch die Erdbebenkräfte und die aus der Geometrie resultierenden Zusatzlasten samt riesigen Lüftungskanälen aufzunehmen.

Die 85,50 m langen Fachwerkkästen setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Sie überspannen 50 m vom Betonplateau zur Mittelstütze und 35,50 m von dort zu den Fassadentürmen. (Foto: Holzbau Amann)

Doppel-Fachwerkbinder nehmen Lasten, Lüftung, Technik und Wartungsgang auf

Im Herzstück der fächerförmigen Dachkonstruktion sah die Planung ein Betonplateau vor, in dem zur Luftverteilung ein 4 m x 3 m großer Zuluftkanal sowie ein nicht minder großer Abluftkanal über zwei Ebenen kreisförmig an den massiven Auflagern der Fachwerkbinder vorbeigeführt und angeschlossen werden. Aufgrund der enormen Stützweiten von 50 m und 35,50 m sowie der Dimensionierung der einzelnen Lüftungskanäle war es notwendig, Doppel-Fachwerkbinder bzw. Holzfachwerkkästen auszuführen, und zwar so, dass sie auch die Lasten aus dem „Dachfaltwerk“ vom Betonplateau über die 16 m hohen Rundstützen (d = 1,20 m) auf die 4 x 4 m großen, massiven Fassadentürme abtragen können.
Entsprechend besteht das Holzdach aus fünf 85,50 m langen Holzfachwerkkästen mit einer Höhe von rund 4,80 m und einer Breite von 3,84 m an der breitesten Stelle bzw. 3,44 m unten. Die unterschiedlichen Breiten ergeben sich aus den konisch geformten Druckpfosten mit konsolenartigem Auflager für die quer anschließenden Satteldachbinder. Innerhalb der Fachwerkkästen sind die riesigen Lüftungskanäle integriert, die die enorme Halle mit Frischluft versorgen.

Zwischen den Fachwerkkästen sind im Abstand von rund 7,20 m BS-Holz-Satteldachträger (b = 24 cm, GL 28c) eingehängt – 66 Stück insgesamt. Ihre Spannweite vergrößert sich kontinuierlich von 6 m auf bis zu 30 m. Quer zu den Satteldachträgern spannen – auf BS-Holz-Pfetten gelagert und auf ihnen vernagelt – 6 cm dicke BSP-Platten als Einfeldträger. Zu einer Scheibe verbunden, sorgen sie für die horizontale Aussteifung. Maßgebend für die Horizontalaussteifung war der Lastfall Erdbeben.

Die Fachwerkkästen haben Außenabmessungen von 4,80 m Höhe und 3,84 m Breite - groß genug, um die Zuluftkanäle darin zu führen. (Foto: Holzbau Amann)
Querschnitt Fachwerkkasten mit Lüftungskanal und Wartungsgang rechts (Foto: Holzbau Amann)
Querschnitt Fachwerkkasten mit seitlich aufgelagerten Satteldachträgern und aussteifender BSP-Scheibe (Zeichnung: @sblumer)

Zusammenspiel der Fassadentürme und Holzfachwerkkästen

Die Fassadentürme nehmen technisch eine wichtige Position ein, da sie dazu dienen, die Abluft anzusaugen und über die Holzfachwerkkästen weiter zur Lüftungszentrale zu transportieren. In den Fachwerkkonstruktionen finden neben der Lüftung auch andere technische Komponenten ihren Platz. So erfolgen hier außerdem in den dafür ausgebildeten Kehlen die Dachentwässerung sowie die Steuerung der RWA-Anlagen und der zu öffnenden Oberlichter. Weiterhin wurde in den Fachwerkkonstruktionen die Hallenbeleuchtung installiert. Zu Wartungszwecken und zur flexiblen, auch nachträglichen Installation von Event-Equipment wurde in jedem der Hauptträger ein Wartungsgang vorgesehen, der über das Betonplateau betreten werden kann. Und zu guter Letzt dienen die Fassadentürme als Gestaltungselemente: Sie gliedern die verglaste Hauptfassade in fünf etwa 34 m breite Bereiche. Sie geben der Fassade sowohl von außen als auch von innen eine Struktur.

BS-Holz-Satteldachbinder bilden das Sekundärtragwerk und die Unterkonstruktion für die Dachscheibe aus BSP-Platten mit Akustik-Elementen. (Foto: Holzbau Amann)
Die Fachwerkträger wurden einzeln auf die Baustelle geliefert und die Einzelteile vor Ort zu Fachwerkkästen zusammengebaut. Dabei konnten auch gleich die Lüftungskanäle eingefügt werden. (Foto: Holzbau Amann)
Der Montagestoß liegt über der Betonmittelstütze. Daraus ergaben sich die Teillängen von 50 m und 35,5 m bzw. die Spannweiten der Fachwerkkästen. (Foto: Holzbau Amann)
Zwischen den Fachwerkkästen sind BS-Holz-Satteldachträger im Abstand von rund 7,20 m eingehängt. Ihre Spannweite reicht vom Zwickel mit 6 m Länge bis zum Dachrand mit 30 m. (Foto: Holzbau Amann – Martin Granacher – www.simplex.de)
Glasfassade und Oberlichter bringen viel Licht ins Halleninnere. Sie gliedern die Segmente zwischen den Fachwerkkästen und relativieren ihre Dimensionen. (Foto: Europa-Park)

Die Bauzeit betrug rund 26 Monate. Planung und Realisierung des ambitionierten Dachtragwerks im vorgesehenen Terminplan ist vor allem deswegen gelungen, weil sich die Zusammenarbeit der beteiligten Firmen und Ingenieure als sehr konstruktiv erwies und alle Beteiligten immer wieder aufs Neue Engagement und Motivation an den Tag legten. Und so konnte die Indoor-Erlebniswelt in Rust am 28. November 2019 planmäßig seine Pforten öffnen.

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag*), Karlsruhe

*) In Zusammenarbeit mit:
Christina Seiters und Peter Korthals, Osnabrück
Samuel Blumer, Graz (Österreich)
Wolfgang Müll, Kehl/Weilheim-Bannholz

Projektdaten im Überblick

Bauvorhaben: Indoor-Wasserwelt Rulantica im Europa-Park in Rust, 77977 Rust, www.rulantica.de

Bauweise: Ingenieurholzbau (Dachtragwerk) und Massivbau

Bauzeit: Oktober 2017 bis November 2019

Baukosten: ca. 180 Mio. Euro

Bruttorauminhalt (BRI): 305.000 m3

Nettofläche: 32.600 m2

 

Bauherr: Europa-Park GmbH & Co Mack KG, 77977 Rust, www.europapark.de

Architektur: pbr Planungsbüro Rohling AG, 49076 Osnabrück, www.pbr.de

Tragwerksplanung: GBI Göppert Bauingenieure, 77933 Lahr/Schwarzwald, www.gbi-statik.de

Ausführungs- und Detailstatik Holzbau: sblumer ZT GmbH, A-8042 Graz, www.sblumer.com

Ausführendes Holzbau-Unternehmen: Holzbau Amann GmbH, 79809 Weilheim-Bannholz, www.holzbau-amann.de

Lüftungskonzept: Planungsgruppe VA, D-30539 Hannover, www.planungsgruppe-va.de